Kostbare Lebenszeit – nichts zum Totschlagen

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Erzählung

Die Zeit vergeht und lässt sich nicht zurückholen. Ist sie unser Feind? Oder ist sie vielmehr ein Geschenk? Sollte man die Zeit nicht als geschenkte Lebensstücke betrachten? Eine Erzählung von Barbara Hug.

Fünf junge Leute standen nebeneinander auf der Brücke. Sie lehnten sich über das Geländer und starrten hinunter auf das schnell und lautlos fließende Wasser. Es war mitten am hellen Vormittag. „Die haben es gut“, dachte ich beim eiligen Vorbeigehen, und es fiel mir ein, wie gern auch ich früher von Brücken und Stegen aufs Wasser geschaut, und dass ich mir lange nicht mehr gegönnt hatte. Auf dem Rückweg wollte ich es tun. Drei Stunden später kam ich wieder. Dieu jungen Leute lehnten noch immer am Brückengeländer. Jetzt waren es sieben. Einige hatten Zigaretten in Mund, die anderen Kaugummi. Hin und wieder spuckte einer ins Wasser. Gesprochen wurde nicht.
Ich blieb in einiger Entfernung stehen, fand aber keine Ruhe zum Betrachtendes Wassers. Die jungen Leute beschäftigten meine Gedanken. Arbeitslose? Arbeitsscheue? Als ich meine beiden schweren Einkaufstaschen wieder hochnahm und an die Strecke dachte, die ich sie bis zum Auto noch zu schleppen hatte, fasste ich Mut und fragte:
„Hallo! Ist vielleicht einer von euch so nett und hilft mir die Taschen zum Auto tragen?“
Keine Antwort.
„Natürlich nicht umsonst!“
Jetzt drehte sich einer halb um, musterte die Taschen, ließ dann einen müden Blick über mich gehen…

„Wir schlagen die Zeit tot.“

Ich wagte dennoch eine Frage:
„Was macht ihr eigentlich stundenlang hier?“
„Wir schlagen die Zeit tot“, sagte der Jüngling lässig und wandte sich ab.
Sie schlagen die Zeit tot! Ich schleppte die beiden Taschen und merkte gar nicht mehr, wie schwer sie waren, denn viel mehr drückte mich dieser Satz:
„Wir schlagen die Zeit tot.“
Begreifen sie denn nicht, dass es ihre eigene Zeit ist, die kaputtmachen? Ein unwiederbringliches Stück ihres Lebens? Ist ihnen ihr Leben nichts wert?
Kurze Zeit danach, an einem herrlichen Sommernachmittag, besuchte ich eine Bekannte. Sie saß in der Küche und putzte Silber. Ich fand das ungeputzte noch hochglänzend und makellos und sah den Grund der Tätigkeit nicht ein.
„Habt ihr ein Fest vor?“
„Nein“, antworte sie, „ich mach‘ das zum Zeitvertreib.“
Und als ich einen alten Nachbarn fragte, wie er seine Tage verbringe, antwortete er:
„Vom Nachmittage an sitze ich am Fernseher, da vergeht die Zeit am schnellsten.“
Anderseits klagte er, dass das Leben so schnell vorübergehe, und sagte, er hoffe, dass er noch recht lange lebe. Die Zeit vertreiben. Die Zeit totschlagen. Sich freuen, wenn si schnell vergeht. Das klingt so, als sei die Zeit ein Feind des Menschen und nicht ein einmaliges, kostbares Geschenk an jeden Einzelnen: sein Leben.

„Niemand sollte sich überlegen, wie er die Zeit vertreiben kann, sondern womit er sie füllen kann“

„Sie dürfen das nicht so wörtlich nehmen. Das sagt man einfach so dahin“, sagte eine junge Frau zu mir, die auch vom Totschlagen der Zeit gesprochen hatte. Aber warum benutzen wir dann das Wort, wenn wir es nicht so meinen? Kein Mensch sollte sich seiner Lebenszeit gedankenlos umgehen. Weder mit Worten noch mit Taten. Niemand sollte sich überlegen, wie er die Zeit vertreiben kann, sondern womit er sie füllen kann. Nicht nur mit Arbeit füllen, auch mit Ruhe, mit Denken und Spiel. Mit Leben! Es sieht so aus, als würden in Zukunft vielen Menschen über sehr viel freie Zeit verfügen können. Es ist zu befürchten, dass sehr viele zunächst nicht wissen werden, was sie mit dieser Freiheit in der Freizeit anfangen sollen, dass sie versuchen werden, die Zeit zu vertreiben oder totzuschlagen, statt sie als ein geschenktes Lebensstück anzusehen und zu füllen. Für ein erfüllteres Leben.

Barbara Hug
Aus Sonnenschein und Regenbogen.
Im Alltag die Spur der Freude finden
,
Kreuz Verlag, 1994

 

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Gebet

Lehre mich, Herr, die Zeit, die du mir zum Arbeiten gibst, gut zu nutzen und sinnvoll zu verwenden, ohne sie zu verschwenden.
Lehre mich, aus vergangenen Fehlern zu lernen, ohne in nagende Selbstvorwürfe zu verfallen.
Lehre mich, vorauszuplanen, ohne mich zu sorgen, das Werk zu erdenken, ohne verzweifelt zu sein, wenn es anders entsteht.
Lehre mich, Eile und Bedachtsamkeit zu vereinen, Gelassenheit und Eifer, Einsatz und Frieden.
Unterstütze mich zu Beginn des Werkes, wo ich am schwächsten bin.
Hilf mir mitten in der Arbeit, den Faden der Aufmerksamkeit festzuhalten.
Und vor allem, fülle du selbst die Lücken in meinem Werk:
Herr, lass in all meiner Arbeit eine Gnade von dir sichtbar werden,
die zu anderen spricht, und einen Fehler von mir, der zu mir selbst spricht.

Mönchsgebet aus dem 12. Jahrhundert

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